All rise! The International Court of Justice is now in session
Der Jessup Der Jessup Moot Court begann als ein juristischer Wettstreit innerhalb der Harvard University im Jahr 1960. Er wurde im Jahr 1968 erstmals zu einem internationalen Wettbewerb, an dem heute jedes Jahr über 700 Universitäten aus aller Welt teilnehmen. Er ist damit nicht nur der älteste, sondern auch der größte Moot Court der Welt. Auch für uns war es die größte Herausforderung in unserem bisherigen Studium, die uns nicht nur in das internationale Recht, sondern auch in die „Jessup-Family“ eingeführt hat. Beim Jessup Moot Court streiten sich zwei hypothetische Staaten vor dem IGH um Fragen des internationalen Rechts. Aufgabe der teilnehmenden Teams ist es, sowohl den klagenden Staat („Applicant“) als auch den beklagten Staat („Respondent“) zu vertreten. Die Vertretung umfasst zunächst die Ausarbeitung von Schriftsätzen („Memorials“), deren Argumente anschließend in einer mündlichen Verhandlung gegen kritische Fragen von der Richterbank verteidigt werden müssen.
Der Fall Im diesjährigen Fall klagte der Staat „Adawa“ gegen die Republik „Rasasa“. Gegenstand des Streits waren vier Klagepunkte („Claims“). Der erste Punkt bezog sich auf die Zuständigkeit des IGH, die Rasasa bestritt. Im zweiten Anklagepunkt warf Adawa Rasasa vor, völkerrechtswidrig gehandelt zu haben, indem es ein hocheffizientes autonomes Waffensystem über 200km entlang der Grenz der beiden Staaten aufstellte. Drittens verlangte Adawa die Feststellung, dass von Rasasa erhobene Zölle gegen ein zwischen ihnen gültiges Handelsabkommen verstoßen und deshalb Schadensersatz zu leisten sei. Im vierten Punkt erhob Rasasa eine Gegenklage („Counterclaim“), mit der es die sofortige Auslieferung seiner Außenministerin verlangte. Diese war zuvor von Adawa auf Geheiß des IStGH festgenommen worden. Das verständlicherweise angespannte Verhältnis zwischen Adawa und Rasasa in ein gerichtliches Verfahren zu übertragen war nun Aufgabe der Teilnehmer der verschiedenen Universitäten. Als wir im September den Sachverhalt das erste Mal gelesen haben, machte sich nach einem anfänglichen Gefühl von Überforderung auch eine gewisse Vorfreude auf die nächsten sechs Monate in der Welt von Adawa und Rasasa breit.
Das Team der RUB Die RUB begann im Juni 2019 ihr Auswahlverfahren, in dessen Rahmen wir uns schon ein erstes Mal an die Pleading-Situation heranwagen konnten. Bei kleinen Vorträgen über Themen, die uns am Herzen liegen, konnten wir einen ersten Eindruck voneinander bekommen. Damals konnten wir uns noch nicht vorstellen, dass uns der Jessup nicht nur zu Teamkollegen, sondern zu Freunden machen würde. Es war keineswegs so, dass wir uns alle an einem ähnlichen Punkt in unserer akademischen Laufbahn befanden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass gerade diese Unterschiedlichkeit eine Stärke während der nächsten Monate war. Während dieser Zeit wurden wir begleitet von zwei Head-Coaches (Jule Giegling, Dr. Judit Beke-Martos) und vier Student-Coaches (Rouven Diekjobst, Ella Schönleben, Judith Prasse, Darius Bentrup), die die Ruhr-Universität im vorherigen Jahr beim Jessup 2019 vertreten hatten.
Die Schriftsätze (Memorials) Die inhaltlichen Vorbereitungen begannen für uns Ende August. Da zu diesem Zeitpunkt der Fall noch nicht veröffentlicht war, erarbeiteten wir uns zunächst grundlegende Kenntnisse im Völkerrecht. Jede Woche bereitete jedes Teammitglied eine Präsentation zu einem bestimmten Thema vor, die den Coaches vorgetragen und anschließend in kollegialer Atmosphäre diskutiert wurde. Mit etwas Verspätung erschien am 20. September dann endlich der Fall. Wir erarbeiteten zunächst systematisch alle Fakten des Falles und stellten grobe rechtliche Argumente für beide Seiten auf. Anschließend stürzten wir uns in die Arbeit an den Schriftsätzen. Nadine und Paul arbeiteten als Anwälte für Adawa und argumentierten somit für die Zuständigkeit des IGH, strikt gegen autonome Waffensysteme, die Erhebung von Zöllen für vermeintliche „security interests“ sowie für eine justizielle Verfolgung der Außenministerin. Demgegenüber feilten Vanessa und Dilara an den Schriftsätzen für Rasasa und bestritten die Zuständigkeit des IGH, betonten die klare Überlegenheit von autonomen Waffensystemen gegenüber der menschlichen Fehlbarkeit, beteuerten die Unerlässlichkeit der Zölle um Rasasa vor dem wirtschaftlichen Aus zu bewahren und kämpften für die Freilassung ihrer Außenministerin. Auch wenn manchmal hitzig gegeneinander argumentiert wurde, waren wir uns doch immer bewusst, dass wir letztlich im selben Team spielten und waren immer offen dafür, gemeinsam an verschiedenen Argumenten zu arbeiten. Während der Arbeit an den Schriftsätzen wurden wir von unseren Coaches unterstützt, die uns wöchentlich Feedback zu unseren Argumenten gaben. Mitte Januar konnten wir schließlich die Schriftsätze nach mehreren Nächten mit wenig bis gar keinem Schlaf einreichen. Trotz starker Übermüdung ließen wir es uns nicht nehmen die Abgabe gebührend zu feiern. Nach vier Monaten harter Arbeit waren wir nicht nur extrem erleichtert, sondern auch stolz. Die Arbeit an den Schriftsätzen hat uns wirklich an unsere Grenzen gebracht, vor allem der Zusammenhalt im Team hat uns aber geholfen uns immer wieder zu motivieren und uns von argumentativen Sackgassen nicht aufhalten zu lassen. Gelernt haben wir, dass es häufig nicht nur einen richtigen Weg gibt, sondern dass man mit genügend Kreativität, Durchhaltevermögen und argumentativer Finesse viele Wege findet, die einen zum Ziel führen.
Das Plädieren nach ein paar Tagen Freizeit begann das Training für die mündlichen Runden („Oral Rounds“). Wir hatten zwar schon während der Schriftsatz-Phase einmal wöchentlich plädiert, von nun an hatten wir jedoch fünf Tage die Woche eine vollständige Plädoyer-Session im Gerichtslabor nach den offiziellen Jessup-Regeln („Daily Pleadings“). Zu Beginn eines Pleadings trägt der Applicant seine Argumente vor, auf die der Respondent anschließend antwortet. Währenddessen stellen die RichterInnen immer wieder kritische Fragen, die uns zwar auch öfters aus der Bahn warfen, uns aber auch die Möglichkeit gaben, unser Wissen und Verständnis unter Beweis zu stellen. Nach dem Pleading des Respondents kann der Applicant im „Rebuttal“ auf die Argumente des Respondents kurz antworten., woraufhin der Respondent im „Surrebuttal“ die Argumente des Rebuttals angreift. Ein Pleading dauert 90 Minuten, mit ausführlichem Feedback der Richterbank konnte es aber passieren, dass wir vier Stunden im Gerichtslabor waren. Über sechs Wochen standen wir den verschiedensten Richtern gegenüber, von wissenschaftlichen Mitarbeitern über Rechtsanwälten bis hin zu Jessup-Alumni. Eine besondere Erfahrung waren hier die Plädoyers in den Kanzleien „Kümmerlein“ und „TaylorWessing“. Hier bekamen wir eine Einschätzung zu unseren Plädoyers aus anwaltlicher Sicht und TaylorWessing bot uns sogar anschließend Gelegenheit zum Austausch mit den Associates. So wurden wir darin geschult unsere Argumente gegen ein Kreuzfeuer von kritischen Fragen zu verteidigen, ohne die Argumentationsstruktur zu verlieren („Hot Bench“) oder die Argumentation gekonnt in die Länge zu ziehen, so dass einem die Argumente nicht ausgehen („Cold Bench“). In der Zwischenzeit recherchierten wir weiter, um so den Anteil der inhaltlichen Fragen, auf die man keine Antwort parat hatte, immer weiter zu verkleinern. Die Intensität der „Daily Pleadings“ ging aber natürlich nicht spurlos an uns vorbei. Nach einem eher unerfreulichen Plädoyer von 18-22 Uhr am nächsten Tag um 9 Uhr erneut mit voller Motivation zu plädieren war nicht immer ganz einfach. Hier halfen uns die Student-Coaches, indem sie ihre Erfahrungen teilten und uns Tipps gaben. Je näher wir den „National Rounds“ kamen, desto größer wurde auch die Motivation, so dass wir auch unsere Sonntage mit Pleading-Sessions verbrachten und als Team noch enger zusammenwuchsen.
Die „Daily Pleadings“ endeten unmittelbar vor den National Rounds in Göttingen Anfang März. Nadine Grünhagen übernahm dort die Vertretung Adawa’s in den Fragen der Zuständigkeit des Gerichtshofes und der Vereinbarkeit des autonomen Waffensystems mit internationalem Recht. Auf ihrer Gegenseite setzte sich Vanessa Bliecke dafür ein, dass Rasasa’s Interessen in diesen Belangen vor dem IGH gewahrt werden. Paul Matthies vertrat in den Fragen der Rechtmäßigkeit der Zölle sowie der Verhaftung der Außenministerin je nach Bedarf entweder Adawa oder Rasasa. Dilara Yaman kam die Rolle als „Bench Councsel“ zu, in der sie mit ihren Kenntnissen und Quellen zu allen vier „Claims“ alle Plädoyers unterstützte und insbesondere das Rebuttal und Surrebuttal vorbereitete.
Die National Rounds Am Mittwoch, dem 4. März, war es dann soweit. Wir trafen uns morgens am Bochumer Hauptbahnhof und machten uns auf den Weg nach Göttingen. Die aufkommende Aufregung wurde etwas aufgelockert durch das aktuelle Jessup-bezogene Meme des Tages, das von einem unserer Student-Coaches für jeden Tag des Wettbewerbs kreiert wurde (sozusagen „Daily Memeing“). In Göttingen angekommen bezogen wir unser Hotel, gingen einen Happen essen und hatten dann noch etwas freie Zeit, bevor es um 20 Uhr zum offiziellen Empfang („Welcome Reception“) ging. Dieser fand in vornehmer Atmosphäre im alten Rathaus von Göttingen statt. Dort trafen wir erstmalig auf die anderen Teams, wobei man zugeben muss, dass die Stimmung eher angespannt war, insbesondere weil man noch nicht wusste, gegen wen man die nächsten Tage um den Einzug in die Finalrunden kämpfen würde. Trotzdem kamen auch einige angenehme Gespräche zustande, in denen unter anderem die Gemeinsamkeiten im Umgang mit den Strapazen der letzten Monate eine Verbundenheit schufen. Gegen 21 Uhr wurden dann die Paarungen für die Vorrunden bekanntgegeben und die entsprechenden Schriftsätze der jeweiligen Kontrahenten ausgeteilt. Anschließend verließen alle Teams mehr oder weniger zügig die Veranstaltung in Richtung ihrer Hotels, um sich auf die Begegnungen der nächsten beiden Tage vorzubereiten. Unsere Kontrahenten in der Vorrunde waren Heidelberg, Passau, Kiel und die Humboldt Universität Berlin. Unsere ersten Begegnungen gegen Heidelberg und Passau fanden erst am Nachmittag statt, so dass wir uns am Vormittag noch weiter vorbereiten konnten. Gegen Heidelberg traten wir als Respondent an und direkt im Anschluss ging es gegen Passau, nun als Applicant. Danach war es fürs erste geschafft und wir konnten eine Verschnaufpause bei einem netten Italiener in der Göttinger Altstadt einlegen. Anschließend ging es entweder zur Erholung ins Bett oder es wurden die Schriftsätze der Gegner des nächsten Tages gelesen. Am Freitagmorgen hatten wir dann zwei Begegnungen, erneut unmittelbar hintereinander. Wir traten zunächst um 8:30 Uhr auf der Seite von Adawa gegen Kiel an, anschließend als Vertreter von Rasasa gegen die Humboldt Universität Berlin. Am Freitagabend fand die Bekanntgabe der Teilnehmer der Finalrunden („Announcement-Dinner“) im „Amavi Pure“, einem gehobenen italienischen Restaurant, statt. Es gab Antipasti, Buffet und Wein. Nach dem Essen gab es einige Reden von Sponsoren und den Veranstaltern der Universität Göttingen. Dann wurden einzeln die Nummern der Teams genannt, die es in die Finalrunden geschafft hatten. Als unsere Nummer (160) ausgerufen wurde, konnten wir es zunächst nicht glauben. Dann machte sich eine unbändige Freude breit und eine große Anspannung fiel von uns ab. Die harte Arbeit der letzten Monate hatte sich ausgezahlt. Die anschließende Auslosung ergab, dass wir am nächsten Morgen gegen das Respondent-Team der Universität Freiburg antreten sollten.
Wir erhielten die Schriftsätze unseres Gegners und begaben uns zur Vorbereitung zurück ins Hotel. Das Viertelfinale fand dann am nächsten Morgen in der Alten Mensa in einem beeindruckenden Saal statt. Leider unterlagen wir knapp. Die Freude über das Erreichen der Viertelfinalrunde hielt jedoch noch etwas an, sodass wir nicht allzu enttäuscht noch den Nachmittag in Göttingen genießen konnten. Am Abend fand dann der Höhepunkt der „National Rounds“, das „Championship Dinner“, statt. Es gab zunächst ein ausgiebiges Essen im gleichen Restaurant wie am Vorabend, gefolgt von einigen Reden, unter anderem von der Richterin am EGMR Frau Prof. Dr. Gabriele Kucsko-Stadlmayer. Anschließend wurden die Sieger des diesjährigen Wettbewerbs bekannt gegeben und die Awards für die besten Schriftsätze und die besten Plädoyers vergeben. Mit großer Freude konnten wir den Award für den besten Respondent-Schriftsatz entgegennehmen und so einen der diesjährigen Awards nach Bochum bringen. Danach feierten wir ausgelassen mit verschiedenen Richtern, Coaches und den anderen Teilnehmern. Die Konkurrenz der letzten Tage war vergessen. Am Sonntag fuhren wir nach Bochum zurück. Die Enttäuschung über das Ausscheiden im Viertelfinale wurde gemildert von dem Gefühl, Teil eines anspruchsvollen und einmaligen Wettbewerbs gewesen zu sein. Und das nicht alleine, sondern als Teil eines wirklich wunderbaren Teams.
Rückblick Im Nachhinein lassen sich vor allem zwei Dinge über den Jessup festhalten. Einerseits verlangt er einem wirklich viel ab. Andererseits gibt er einem die Chance, sich wirklich weiterzuentwickeln. Man erfährt, wie gut man in Drucksituationen funktioniert und wird widerstandsfähiger. Man lernt, sich von konstanter Kritik nicht entmutigen zu lassen und weiter fachlich fundiert zu diskutieren. Man schult seine rhetorischen Fähigkeiten und lernt, wie man den Teamgeist auch in schweren Zeiten aufrechterhält. Und letztlich ist das Gefühl, eine selbst erarbeitete Rechtsauffassung vor hochkarätigen Völkerrechtlern aus aller Welt zu präsentieren, wirklich ein ganz besonderes.
Wir möchten uns bedanken beim Lehrstuhl von Frau Prof. Dr. Adelheid Puttler, der die Teilnahme an diesem Wettbewerb erst möglich gemacht hat, bei unseren Coaches, die uns über die ganze Zeit mit Rat und Tat zur Seite standen und auch bei allen externen Helfern, die sich die Zeit genommen haben unsere Schriftsätze zu lesen und bei unseren Plädoyers als Richter teilgenommen haben.